Bielefeld: Partizipative Entwicklung von „Mach mit! Bielefelder Grundsätze für Beteiligung“
Stadt Bielefeld
Partizipativ, inklusiv und intensiv – und dabei noch Bielefeld-spezifisch. Das waren die Voraussetzungen für einen zeitlich ambitionierten Prozess zur Entwicklung von Regeln für die künftige Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Bielefeld. Das Ziel stand schnell fest: Kurze und knackige Spielregeln für ein neues Miteinander von Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung. Alle Bielefelder*innen sollten künftig besser informiert sein, mehr mitsprechen und aktiver mitmachen können. Hierfür wurden unterschiedliche Zielgruppen gezielt eingebunden. Herausgekommen ist in einem knapp neun Monate langen Prozess ein Papier, das die Grundlage für eine neue Bielefelder Beteiligungskultur in der über 340.000 Einwohner*innen zählenden Stadt bilden soll.

Über das Projekt

Personen von links nach rechts: Julia Lichtnecker, Britta Klausing, Magdalena Chowdry

Die Stadt Bielefeld wollte dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Öffentlichkeitsbeteiligung auf kommunaler Ebene gerecht werden. Der Rat der Stadt hat daher am 11. Februar 2021 beschlossen, diesen Bereich mit der Schaffung einer Stelle für eine*n Partizipationsbeauftragte*n und damit den Dialog zwischen Stadtgesellschaft, Verwaltung und Politik weiter zu stärken. Die Stelle wurde zum 1. Juli 2021 beim Presseamt/Statistikstelle eingerichtet und der Bereich Kommunale Partizipation/Social Media mit zwei weiteren Stellen im April bzw. Juni 2022 verstärkt.

Ein erstes konkretes Arbeitspapier „(Mehr) kommunale Partizipation für Bielefeld“ wurde im Oktober zustimmend von den politischen Vertreter*innen zur Kenntnis genommen. Die Entwicklung eines „Regelwerks zur Öffentlichkeitsbeteiligung“ (vorläufiger Arbeitstitel) in einem partizipativen Verfahren wurde dabei ausdrücklich begrüßt.

Mit den zu entwickelnden Grundsätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung sollte ein klares Bekenntnis für kommunale Partizipation abgelegt, verbindliche Regeln geschaffen und ein definierter Rahmen zwischen Politik, Stadtgesellschaft und Verwaltung formuliert werden. Entscheidend war der eindeutige Wille zu einer transparenten und wertschätzenden Dialogkultur. Mit festgelegten Grundsätzen zur Öffentlichkeitsbeteiligung sollte

  • der Dialog und die Kommunikation zwischen allen Beteiligten künftig grundsätzlich erleichtert, das Verständnis und die Akzeptanz für städtische Vorhaben erhöht,
  • eine gute Qualität sowie ein systematischer Ablauf von Beteiligungsverfahren gesichert,
  • die kommunalen Mitgestaltungsmöglichkeiten und der Rahmen der Mitwirkung der Bevölkerung in transparenter Form strukturiert,
  • Planungen und bauliche Vorhaben transparenter gemacht und
  • Beteiligungsmöglichkeiten langfristig verankert und verstetigt

werden.

Nach einem aufwändigen und komplexen Vergabeverfahren wurde letztlich das nexus Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung (Berlin) mit der Prozessbegleitung beauftragt.

Alle Beteiligten waren sich einig, dass Grundsätze für Öffentlichkeitsbeteiligung zu Recht den Anspruch haben, dass sie auch in einem partizipativen Prozess erstellt werden. Das Vorschlagen von Grundsätzen durch die Verwaltung allein wäre daher nicht ausreichend gewesen. Vielmehr ging es konzeptionell darum, diese Grundsätze gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadtgesellschaft zu entwickeln. Nur so war es möglich, bereits zu einem frühen Zeitpunkt viele Menschen mit ihren individuellen Erfahrungen in den Prozess einzubeziehen und die stadtspezifischen Besonderheiten in das Ergebnis einfließen zu lassen.

Bei der gemeinsam mit dem nexus Institut entwickelten Prozessplanung wurden diese Aspekte nicht nur berücksichtigt, sondern im weiteren Verlauf um Bielefeld-spezifische Beteiligungsformate ergänzt.

Dabei waren folgende Gruppen besonders an der Erstellung der Grundsätze beteiligt:

  • Arbeitsgremium mit Stadtgesellschaft (u.a. durch Zufallsauswahl), Politik und Verwaltung
  • Verwaltungsmitarbeitende
  • Interessierte Bielefelder*innen
  • Zufällig ausgewählte Bielefelder*innen
  • Kinder und Jugendliche
  • Senior*innen und Menschen mit Behinderung
  • Menschen mit internationaler Familiengeschichte
  • Menschen in besonderen Lebenssituationen in Kooperation mit dem Streetwork-Team

Nachfolgend werden die unterschiedlichen Gruppen und Formate näher erläutert.

Arbeitsgremium

Um die verschiedenen Perspektiven von den Bielefelder*innen, der Politik und der Verwaltung einfließen zu lassen, wurde „Mach mit! Bielefelder Grundsätze für Beteiligung“ von einem Arbeitsgremium entwickelt. Das Arbeitsgremium bestand aus insgesamt 15 Mitgliedern – jeweils fünf aus Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung.

Die fünf Vertreter*innen der Stadtgesellschaft setzen sich aus vier zufällig ausgewählten Bielefelder*innen sowie einer Person aus dem (zivilgesellschaftlichen) „Bielefelder Netzwerk Bürger:innenbeteiligung“ zusammen.

Den Mitgliedern des Arbeitsgremiums wurden alle Ergebnisse der verschiedenen – im Nachfolgenden näher beschriebenen – Beteiligungsformate vorgelegt und dienten so als Arbeitsgrundlage im Rahmen der Entwicklung der Grundsätze.
Die erste Sitzung des Arbeitsgremiums fand Ende August 2023, die letzte im Mai 2024 statt. Insgesamt hat das Gremium achtmal mit jeweils einer Dauer von mind. drei Stunden getagt.

Einbindung von Verwaltungsmitarbeitenden

Die Einbindung von Verwaltungsmitarbeitenden zu Beginn des Prozesses war ein wesentlicher Baustein. Anregungen und Ideen, ihre Erfahrung und Expertise im Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung, sollten bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in den Prozess einfließen und die Basis für die weitere Arbeit bilden. Ausdrücklich wurden im Rahmen eines Workshops Mitarbeiter*innen aus der Praxis (Arbeits- und Leitungsebene) angesprochen.

Insgesamt nahmen an dem dreistündigen Workshop über 50 Verwaltungsmitarbeitende aus allen Dezernaten teil. Darüber hinaus hatten alle Mitarbeiter*innen der Verwaltung im Rahmen einer internen Umfrage über das städtische Internet die Gelegenheit, sich inhaltlich in den Prozess einzubringen.

Öffentliche Veranstaltungen

Die öffentliche Auftaktveranstaltung zum Prozess hat im September 2023 mit rund 100 interessierten Bielefelder*innen stattgefunden. Im Rahmen der Veranstaltung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Bielefeld-spezifischen Anregungen und Ideen für die Grundsätze zu äußern.

Im Rahmen einer zweiten öffentlichen Präsenzveranstaltung im Februar 2024 konnten die Teilnehmenden die erste Fassung der Grundsätze kommentieren, weitere Anregungen geben und auf Mängel aufmerksam machen. Mehr als 120 Bielefelder*innen haben an der Veranstaltung teilgenommen.

Online-Beteiligungen

In Ergänzung zu beiden Präsenzveranstaltungen gab es jeweils eine mehrwöchige Online-Beteiligung.

Mit der ersten Online-Beteiligung sind noch weitere allgemeine Anregungen zu Themen, Besonderheiten und möglichen Grundsätzen eingegangen. Bei einer zweiten Online-Umfrage konnten sich die Bielefelder*innen zum Entwurf äußern.

Einbindung von besonderen Zielgruppen

Kinder und Jugendliche

Rund 50 Kinder und Jugendliche aus ganz Bielefeld haben sich im Rahmen eines Workshops im Bielefelder Freizeitzentrum Baumheide mit dem ersten Entwurf der Grundsätze bzw. mit ihren Wünschen zu Beteiligungen bei städtischen Vorhaben beschäftigt. Der Workshop wurde durch pädagogische Fachkräfte des SV Bildungswerks (Berlin) durchgeführt.

Menschen mit internationaler Familiengeschichte

In Kooperation mit dem Integrationsrat der Stadt haben Vertreter*innen aus unterschiedlichen Dachverbänden, Vereinen und Institutionen an einem Workshop teilgenommen, um den Entwurf der Grundsätze zu diskutieren. Die teilnehmenden Multiplikatoren repräsentierten rund 80.000 Bielefelder*innen.

Senior*innen sowie Menschen mit Behinderung

In Abstimmung mit dem Seniorenrat und dem Beirat für Behindertenfragen konnten Repräsentant*innen sowie Betroffene ihre Anregungen und Anmerkungen zum Entwurf der
Grundsätze im Rahmen eines Workshops einbringen.

Menschen in besonderen Lebenssituationen

In Kooperation mit dem Streetwork-Team der Stadt Bielefeld wurden im Rahmen einer aufsuchenden Beteiligung Interviews zum Thema, u. a. mit Betroffenen aus der Obdachlosen- und Drogenszene, geführt.

Einbindung der Bewohner*innen der Stadtbezirke sowie der Bezirksvertretungen

Bereits im Rahmen der öffentlichen Auftaktveranstaltung zum Prozess wurde deutlich, dass Bielefeld als Flächenstadt mit zehn sehr unterschiedlichen Stadtbezirken auch beim Thema Öffentlichkeitsbeteiligung vor besonderen Herausforderungen stehen würde. Daher wurde bei verschiedenen Beteiligungsformaten ein Fokus auf die Abbildung und Einbindung von Einwohner*innen aus allen Stadtbezirken im Prozess gelegt:

  • Zwei Workshops mit zufällig auswählten Einwohner*innen aus allen Stadtbezirken
  • Gezielte Einladung der Bezirksbürgermeister*innen zu den öffentlichen Präsenzveranstaltungen
  • Offensive Einladung an die Mitglieder aller Bezirksvertretungen zur Onlinebeteiligung Informationen zum geplanten Prozess und aktuellen Sachstand im Rahmen eines turnusmäßigen Treffens mit dem Oberbürgermeister

Wissenschaftliche Begleitung durch Fachhochschule des Mittelstands (FHM), Projekt „Open Innovation City“

Der gesamte Prozess wurde durch das Projekt „Open Innovation City“ bzw. durch die Bielefelder Fachhochschule des Mittelstands (FHM) wissenschaftlich begleitet. Unter anderem wurde im Abschlussbericht festgehalten, dass es durch eine Reihe ganz unterschiedlicher Maßnahmen gelungen sei, viele Menschen zur Mitwirkung an der Erstellung der Grundsätze zu bewegen und die Anregungen aus den öffentlichen Veranstaltungen und den Zielgruppenworkshops vom Arbeitsgremium gewissenhaft in den Erarbeitungsprozess der Grundsätze integriert wurden. Der Prozess zur Erstellung der Grundsätze stelle jedoch bereits eine wichtige Grundlage für die Möglichkeit des Erfolgs dar.

Transparenz, Kommunikation und Dokumentation

Über den Prozess wurde laufend auf der Beteiligungsseite der Stadt Bielefeld sowie per digitalen Newsletter „Dialog & Beteiligung“ informiert. Die Dokumentationen der öffentlichen Veranstaltungen sowie der Workshops waren und sind online abrufbar. Die Webseite zu den Grundsätzen für Beteiligung sowie der erste Entwurf des Arbeitsgremiums wurden in die „Leichte Sprache“ übersetzt.

Über den Prozess sowie über einzelne Bausteine (öffentliche Veranstaltungen) wurde darüber hinaus im Rahmen der klassischen Öffentlichkeitsarbeit des Presseamtes der Stadt Bielefeld, über die verschiedenen Social-Media-Kanäle, auf der Homepage der Stadt (www.bielefeld.de), für Verwaltungsmitarbeitende im Intranet sowie über diverse Newsletter und Verteiler unterschiedlicher Netzwerke informiert. Neben dem Instrument der Zufallsauswahl, das für zwei Workshops genutzt wurde, wurden so unterschiedliche Bielefelder*innen erreicht und in den Prozess einbezogen.

Das Ergebnis: Grundsätze und drei erste Instrumente

Der Entwurf „Mach mit! Bielefelder Grundsätze für Beteiligung“ wurde vom Arbeitsgremium im Rahmen seiner letzten Sitzung am 21. Mai 2024 einstimmig beschlossen.
Das Arbeitsgremium hat sich bemüht, die Grundsätze so kurz, einfach und klar wie möglich zu formulieren. So wurde u. a. auf Fremdwörter weitestgehend verzichtet. Dennoch sind einige Wörter möglicherweise nicht allgemein verständlich. Hier wird es dann in der gedruckten Fassung entsprechende Erläuterungen sowie in den digitalen Medien entsprechende Verlinkungen geben. Die Grundsätze sollen künftig in Leichter Sprache sowie in verschiedenen Sprachfassungen erhältlich sein.

Der Entwurf der Bielefelder Grundsätze für Beteiligung wurde im Juni 2025 den politischen Gremien zum Beschluss vorgelegt. Insgesamt wurden

  • alle zehn Bezirksvertretungen
  • der Beirat für Behindertenfragen
  • der Seniorenrat
  • der Integrationsrat und der
  • Haupt-, Wirtschaftsförderungs- und Beteiligungsausschuss

einbezogen.

Während des laufenden Prozesses wurde durch die eingebundenen politischen Vertreter*innen eine breite, überparteiliche Zustimmung signalisiert. Dennoch konnte in der Phase der politischen Beratungen trotz beschriebener Beteiligung in Teilen mangelnde Akzeptanz bei einzelnen Bezirksvertreter*innen (insbesondere im konservativen politischen Spektrum) festgestellt werden.

Letztlich hat der Rat der Stadt Bielefeld „Macht mit! Bielefelder Grundsätze für Beteiligung“ im Dezember 2024 – wie durch das Arbeitsgremium erarbeitet und vorgelegt – beschlossen.

Die wichtigsten Mitwirkenden am Prozess waren die Bielefelder*innen selbst: Über 400 Menschen aus der Stadtgesellschaft haben – überwiegend ehrenamtlich – an den Grundsätzen mitgewirkt. Gut 2.000 Stunden sind dabei zusammengekommen.

Weitere Mitwirkende:

  • nexus – Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung: Planungsprozess und Moderation (Dr. Christine von Blanckenburg/Nicolas Bach)
  • Fachhochschule des Mittelstands/Open Innovation City: Wissenschaftliche Begleitung (Dr. Mirko Petersen)

Im Rahmen der Entwicklung der Grundsätze wurden unterschiedliche Zielgruppen gezielt angesprochen und eingebunden – darunter auch Zielgruppen, die mit unterschiedlichen partizipativen Methoden meist nicht erreicht werden. So wurden Workshops mit Menschen mit internationaler Familiengeschichte, Menschen mit Behinderung sowie Kindern und Jugendlichen durchgeführt. In den Workshops wurden die Hürden deutlich, um an partizipativen Verfahren teilzunehmen, aber durch die Teilnehmer*innen selbst auch Lösungswege aufgezeigt. Ebenfalls wurden Menschen in prekären Lebenssituationen sowie marginalisierte Personen im Rahmen der Entwicklung gezielt aufgesucht und Interviews mit ihnen geführt, um die Bedarfe sowie Wünsche an Beteiligung in Bielefeld zu erfragen.

Partizipation lernt auch immer aus Erfahrung. Weit mehr als 100 Kommunen haben sich zwischenzeitlich Leitlinien erarbeitet. Basierend auf den zahlreichen Erfahrungen ist es der Stadt Bielefeld gelungen, innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums von neun Monaten die Grundsätze für Beteiligung zu entwickeln, ohne inhaltliche Abstriche machen zu müssen.

Auf einem Blick:

  • relativ kurzer Prozess – 9 Monate zwischen KickOff-Veranstaltung und Vorstellung der Grundsätze
  • Einbindung von allen gesellschaftlichen Schichten incl. marginalisierter Gruppen
  • Hohes Maß an Inklusion
  • Bielefeld- spezifisch und damit „Bielefelder Grundsätze“
  • Hohe Beteiligung der Stadtgesellschaft bei öffentlicher KickOff-Veranstaltung und Vorstellung des Zwischenpapiers
  • Ausgewogene Kombination aus analogen und digitalen Formaten
  • Einbindung von Zielgruppen, die üblicherweise nicht dabei sind (z.B. Kinder- und Jugendliche, Menschen in prekären Lebenssituationen)
  • Besondere Berücksichtigung aller städtischen Bezirke
  • Zufallsauswahl
  • Wissenschaftliche Begleitung
  • Grundsätze im Ergebnis kurz, knackig und gut verständlich!

Und „last but not least“: Es hat den Beteiligten – laut eigener Aussage – Spaß gemacht!

Weitere Informationen

Website „Regelwerk-Prozess“ (incl. diverser Dokumentationen und weiterführender Links): https://www.bielefeld.de/regelwerk

Beispiel für Beteiligung einzelner Zielgruppen – Zusammenfassung Interview „Streetwork“: https://www.youtube.com/watch?v=1VTea5N7DOY&t=4s

Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung: https://www.bielefeld.de/sites/default/files/datei/2024/Bielefelder-Grundsaetze-fuer-Beteiligung_Bericht-zur-wissenschaftlichen-Begleitung.pdf

Website „Bielefelder Grundsätze für Beteiligung“: https://www.bielefeld.de/mach-mit