
Dr. Jürgen Wuthe, Michael Schell, Sabine Welte-Hauff
„Älter und selbstbestimmt – Pflege neu denken in Aspach“ war ein dialogischer Beteiligungsprozess der Gemeinde Aspach, der im Rahmen des Landesprogramms „Quartier 2030 – Gemeinsam. Gestalten.“ umgesetzt wurde. Ziel war es, ein kommunales Handlungskonzept für die Pflege und altersgerechte Versorgung zu entwickeln – mit der aktiven Mitwirkung von Bürger:innen, lokalen Akteur*innen sowie Verwaltung und Politik.
Ausgangspunkt war eine konkrete Anfrage zur Nutzung eines gemeindeeigenen Grundstücks für eine Tagespflege. Statt diese Einzelfrage isoliert zu beantworten, entwickelte die Gemeinde einen umfassenden Beteiligungsprozess, um gemeinsam mit der Bürgerschaft strukturelle Perspektiven für eine generationengerechte Kommune zu entwerfen.
Der Prozess bestand aus fünf aufeinander aufbauenden Phasen: Akteursanalyse, Fokusgruppen, öffentliche Veranstaltungen (u.a. Pflegemesse), Auswertung durch eine Steuerungsgruppe und abschließender Präsentation der Ergebnisse.
Besonders prägend waren die Breite und Tiefe der Beteiligung: Pflegende Angehörige, Pflegebedürftige, Ehrenamtliche, Fachkräfte, junge Menschen mit Unterstützungsbedarf und weitere Gruppen brachten ihre Sichtweisen ein. Niedrigschwellige Angebote – von Kinder- und Angehörigenbetreuung bis zu Fahrdiensten und alltagsnaher Sprache – senkten die Zugangshürden. In Methoden wie World Café, Design Thinking und Graphic Recording entstanden kreative Impulse.
Zentrale Handlungsfelder wurden in einem Abschlussbericht gebündelt*
Pflegeangebote, Mobilität, Information, Ehrenamt und neue Wohnformen.
Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass der Prozess auch in seiner Wirkung bereits weitreichend war: So entstand aus dem Beteiligungsprozess heraus ein lokaler Pflegewegweiser für Aspach, der eine Übersicht über Anlaufstellen und Angebote in der Gemeinde bietet und damit den Seniorenwegweisers des Rems-Murr-Kreises ergänzt. Zudem werden aktuell neue Räumlichkeiten im Ortskern renoviert, die dann als Bürgercafé “JederZeit” den Bürger*innen für Seniorinnennachmittage, Spieleabende, Vereinstreffen o.ä. zur Verfügung stehen werden. Auf Initiative einiger Bürger*innen wurde in einem Teilort grade ein ähnliches Projekt angestoßen. Darüber hinaus arbeitet eine Arbeitsgruppe des Diakonievereins weiter an der Umsetzung einer Struktur zur Koordination ehrenamtlicher Angebote in Pflege und Versorgung. Die Steuerungsgruppe, bestehend aus Verwaltung, Bürgerschaft, Politik und Fachpersonen, fungierte als zentrales Koordinationsgremium. Sie reflektierte den Prozess kontinuierlich, bewertete die Ergebnisse und entwickelte Empfehlungen. Damit wurde Beteiligung auf Augenhöhe möglich. Der Beteiligungsprozess wurde mit der öffentlichen Präsentation des Abschlussberichts am 8. April 2025 vor der Bürgerschaft und dem Gemeinderat offiziell abgeschlossen. Die darin enthaltenen Ergebnisse und Empfehlungen bilden nun die Grundlage für die weitere kommunale Diskussion und Entscheidungsfindung. Anschlussprojekte sind ausdrücklich erwünscht, der Dialog mit der Bürgerschaft soll fortgesetzt werden. Der Beteiligungsprozess wurde von vielen Beteiligten als „besonders vertrauensvoll“ und „offen für echte Mitgestaltung“ beschrieben – unter anderem in Rückmeldungen zur Pflegemesse oder den Abschlussveranstaltungen. Besonders positiv bewertet wurden die Ernsthaftigkeit der gemeindlichen Einladung sowie die Vielfalt der eingebundenen Stimmen. Die gewählte Herangehensweise ist übertragbar – für Kommunen, die alters- und sorgestrukturelle Themen mit ihren Bürger*innen gemeinsam entwickeln möchten.
Die Gemeinde Aspach sieht in diesem Prozess eine neue Kultur des Miteinanders wachsen – Beteiligung nicht als Ausnahme, sondern als wiederkehrende Form der Gestaltung. Gerade für kleinere Kommunen zeigt dieser Ansatz: Mit klarer Haltung, guter Struktur und verlässlichen Partnern kann auch mit begrenzten Mitteln viel erreicht werden. Mit Blick auf die Verstetigung wurde vereinbart, die Steuerungsgruppe, ggf. in leicht veränderter oder ergänzter Form, als dauerhaft ansprechbare Struktur beizubehalten.
Der Beteiligungsprozess „Älter und selbstbestimmt – Pflege neu denken in Aspach“ wurde gemeinschaftlich von kommunalen, zivilgesellschaftlichen, fachlichen und ehrenamtlichen Akteuren getragen. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die gezielte Einbindung verschiedener Perspektiven waren zentrale Erfolgsfaktoren des Prozesses.
Projektträger und Verantwortung:
Gemeinde Aspach (Projektverantwortung): Bürgermeisterin Sabine Welte-Hauff (Schirmherrschaft und Vorsitz der Steuerungsgruppe)
Projektleitung und -team:
Alina Reinartz (Projektleitung, extern)
Corinna Walz, Johanna Lohrer (Projektmitarbeit, extern)
Michael Tränkle, Larissa Burggraf (Kleingruppenmoderation, extern)
Fachlich-wissenschaftliche Begleitung:
Juniorprofessorin Dr. Maija Huttunen-Lenz, PH Schwäbisch Gmünd
Larissa Burggraf, Wissenschaftliche Projektbegleitung
Studierende der PH Schwäbisch Gmünd
Kooperationspartner:
Diakoniestation Mittleres Murrtal
Alexander-Stift Aspach
Diakonieverein Aspach
Evangelische Kirchengemeinde Aspach
Steuerungsgruppe:
Vertreter*innen ambulanter und stationärer Pflege
Vertreter*innen des Gemeinderats
Engagierte Bürger*innen
Wissenschaftliche und fachliche Expertise
Methodische Unterstützung:
Jakob Kohlbrenner (Graphic Recording)
Larissa Burggraf (Auswertung, Visualisierung)
Weitere Mitwirkende:
Bürgerschaft Aspach
Pflegeanbieter, medizinische Dienste, Selbsthilfegruppen
Ehrenamt, Vereine, Kirchengemeinden, Schulen
Förderung:
Landesförderung über das Programm „Quartier 2030 – Gemeinsam. Gestalten.“
Aus Sicht der Gemeinde Aspach ist der Beteiligungsprozess „Älter und selbstbestimmt – Pflege neu denken in Aspach“ besonders auszeichnungswürdig, weil er beispielhaft zeigt, wie eine Kommune auf Augenhöhe mit der Bürgerschaft, mit Fachakteur*innen und zivilgesellschaftlichen Partnern zusammenarbeiten kann, um eine konkrete Herausforderung langfristig und strukturell anzugehen.
Der Prozess erfüllt in besonderem Maße die Grundsätze guter Beteiligung, wie sie vom Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung und der Allianz Vielfältige Demokratie formuliert wurden – und zeigt dies durch zahlreiche praktische Umsetzungen:
Die Beteiligung begann frühzeitig: Der Gemeinderat befasste sich in einer Klausurtagung mit dem Thema und der Dialog mit der Bevölkerung durch den Beteiligungsprozess wurde eröffnet, noch bevor politische Grundsatzentscheidungen über neue Pflegeangebote und über die Ausweisung von Baugebieten getroffen wurden.
Die Gestaltungsspielräume und limitierenden Faktoren wurden in der Steuerungsgruppe und auch zu Beginn der einzelnen Beteiligungsveranstaltungen durch die Bürgermeisterin und die Prozessbegleitung klar benannt. Auch die Themen für die Arbeitsgruppen orientierten sich daran, was auf lokaler Ebene mit den vorhandenen oder in realistischer Weise zu akquirierenden finanziellen und personellen Ressourcen umsetzbar ist.
Die Formate waren inklusiv und adressierten auch Gruppen, die sonst seltener erreicht werden – z. B. pflegende Angehörige oder Menschen mit Unterstützungsbedarf. Dies gelang durch Fokusgruppen, aufsuchende Beteiligung, Betreuung während der Veranstaltungen und eine klare, einfache Sprache.
Die ergebnisoffene Gestaltung ermöglichte die Aufnahme neuer Themen und Formate: So entstand beispielsweise aus dem Beteiligungsprozess heraus die Idee einer Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Behinderung – ein Thema, das ursprünglich nicht im Fokus stand. Auch die Pflegemesse war ein Format, das erst im Laufe des Prozesses entwickelt wurde, weil sowohl der Bedarf aus der Bürgerschaft, als auch die Bereitschaft der professionellen Akteure, ein solches Format anzubieten und umzusetzen, entstanden war.
Die Steuerungsgruppe repräsentierte die unterschiedlichen Akteure, die von dem Thema betroffen sind und brachte Verwaltung, Bürgerschaft, Pflegeakteure und Gemeinderatsmitglieder an einen Tisch. In der Steuerungsgruppe wurden auch die Verfahrensregeln für den Beteiligungsprozess und die Grundsätze der Zusammenarbeit entwickelt.Entscheidungen über Schwerpunktsetzungen im Prozess und und die Empfehlungen wurden in der Steuerungsgruppe gemeinsam getroffen. Auch wurde die offizielle Abschlusspräsentation vor Bürgerschaft und Gemeinderat bewusst gewählt, um allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu Rückfragen und zur weitergehenden Diskussion zu geben – dies wäre im formalen Rahmen einer Gemeinderatssitzung so nicht möglich gewesen.
Transparente Kommunikation: Zur Sicherung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit wurden zentrale Zwischenschritte des Prozesses regelmäßig dokumentiert, öffentlich vorgestellt und über das Mitteilungsblatt sowie die kommunale Website kommuniziert. Auch die öffentliche Abschlusspräsentation wurde durch ein Pressegespräch begleitet.
Zeitnahe Umsetzung von (ersten) Ergebnissen: Die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses gliedern sich in zwei Bausteine: An die Gemeinde gerichtete Handlungsempfehlungen, sowie konkrete Projekte mit Bürgerinnen und Bürgern und professionellen Akteuren, die kurz-, mittel- und langfristig umgesetzt werden sollen. Erste Maßnahmen wurden bereits umgesetzt oder sind auf dem Weg: Ein Pflegewegweiser wurde entwickelt, ein Bürgercafé initiiert und eine Struktur zur Koordination ehrenamtlicher Angebote in Pflege und Versorgung vorbereitet.
Lernen aus Erfahrung: Reflexion und Lernen waren zentrale Bestandteile des Prozesses. Die Steuerungsgruppe evaluierte jede Phase gemeinsam mit der Projektleitung, sodass Ergebnisse laufend angepasst und neue Perspektiven integriert werden konnten. Diese Lernschleifen stärkten die Qualität und Akzeptanz der Ergebnisse erheblich. Auch die fachliche wissenschaftliche Begleitung durch die PH Schwäbisch Gmünd war in allen Prozessschritten eingebunden und stärkte die Qualität der Ergebnisse des Beteiligungprozesses erheblich.
Ressourcen und kompetente Prozessbegleitung: Das Projekt wurde im Rahmen des Landesprogramms Quartier 2030 Gemeinsam. Gestalten. durch die Allianz für Beteiligung in Baden-Württemberg gefördert. Die Allianz für Beteiligung stellt neben Sachkosten auch Mittel für Moderation und Prozessbegleitung von Beteiligungsprozessen zur Verfügung. Die externen Beraterinnen sind bei der Allianz für Beteiligung akkreditiert – so wird die Kompetenz der Prozessbegleitung sichergestellt.
„Pflege neu denken in Aspach“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus einem konkreten Anlass ein Prozess entsteht, der weit über das Ausgangsthema hinauswirkt – und der zeigt, dass Bürgerbeteiligung ein zentraler Baustein kommunaler Entwicklung sein kann.
Die Gemeinde Aspach ist überzeugt, dass dieser Beteiligungsprozess beispielhaft für eine generationengerechte, inklusive und strukturverändernde Bürgerbeteiligung steht. Er zeigt, wie Beteiligung auch in kleinen Kommunen strukturell verankert und zukunftsorientiert gelebt werden kann – als Kern demokratischer Entwicklung im lokalen Raum.
Der Ansatz ist auch auf andere Kommunen übertragbar, insbesondere dort, wo Pflege, Alter und Quartiersentwicklung als Querschnittsaufgabe verstanden werden. Die gewählte Struktur, die partnerschaftliche Herangehensweise und die methodische Vielfalt machen den Prozess anschlussfähig – sowohl für Folgeprojekte vor Ort als auch für andere Gemeinden mit ähnlichen Herausforderungen.
Weitere Informationen
Abschlussbericht „Pflege neu denken in Aspach“ (PDF): https://www.aspach.de/fileadmin/Dateien/Dateien/Verschiedene_Bereiche_PDF/250319_Abschlussbericht_Pflege-neu-denken-in-Aspach_online.pdf
Projektseite der Gemeinde Aspach: https://www.aspach.de/leben-wohnen/buergerbeteiligung
Artikel in der Backnanger Kreiszeitung: https://alinareinartzde-my.sharepoint.com/:f:/g/personal/post_alina-reinartz_de/ErmoJY2pyalLqLxF23I98UAB-5zZXECHTkYcAOpOCeEivA?e=0aX1kw
Artikel im Mitteilungsblatt Aspach: https://alinareinartzde-my.sharepoint.com/:f:/g/personal/post_alina-reinartz_de/El7Y0vT1LWFPk9EDu10Apk0BXU1XdxDTl6rXyvFdYfObNQ?e=VXa447
Programm „Quartier 2030“: https://www.quartier2030-bw.de


